Besprechung des Urteils zum Reiserecht AG Frankfurt, Urteil vom 14.07.2020, 32 C 2136/20 (18):
Das Amtsgericht Frankfurt hat entschieden, dass ein Reiseveranstalter einem Vertragspartner die geleistete Anzahlung erstatten muss, da der Reisende auf Grund der Corona-Pandemie die Reise storniert hat.
Was war geschehen?
Der Kläger hatte im Mai 2019 eine Reise nach Italien gebucht, die am 14.04.2020 beginnen sollte. Er leistete eine Anzahlung und nach eigener Behauptung sogar den vollständigen Reisepreis.
Am 07.03.2020 stornierte er die Reise und begründete dies mit „außergewöhnlichen Umständen im Reisegebiet“, gemeint war die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 bzw. der COVID-19-Pandemie
Der Reisveranstalter verweigerte die Erstattung von Zahlungen.
Das Amtsgericht Frankfurt gab jedoch dem Kläger Recht und verurteilte den Reiseveranstalter zur Erstattung der geleisteten Anzahlung. Der Kläger erhielt den vollen Reisbetrag nur nicht zurück, weil er die vollständige Zahlung nicht nachweisen konnte. Wäre der Beweis gelungen, hätte er nach der Urteilsbegründung auch den vollen Reispreis erstattet bekommen.
Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Gericht aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Entscheidung, die Reise zu stornieren, weil er berechtigt war, davon auszugehen, dass im Reisegebiet außergewöhnliche Umstände vorliege würden, die die Durchführung der Pauschalreise bzw. den Flug nach Neapel erheblich beeinträchtigen würden. Der entsprechende Anspruch ergibt sich aus § 651 Abs. 1 bis 3 BGB.
Das Amtsgericht hat dabei auf eine vorzunehmende Prognose abgestellt. Für die Bewertung der Berechtigung der Stornierung kommt es also auf die Sicht des Reisenden zum Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts an. Nach der Ansicht des Gerichts ist dabei auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Stornierungszeitpunkt und Reisebeginn abzustellen. Im entschiedenen Fall lag zwischen beiden Zeitpunkten etwas mehr als ein Monat, was das Gericht für ausreichend erachtete.
In solchen Fällen ist der Kläger für die Tatsache beweisbelastet, dass unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände vorliegen, welche die Durchführung der Reise oder der Beförderung
erheblich erschweren.
Das Amtsgericht Frankfurt sah sowohl die Unvermeidbarkeit als auch die außergewöhnlichen Umstände durch die Corona-Pandemie in Italien als gegeben an ohne dass es dabei auf strenge Voraussetzungen abstellte. Es wurde ausdrücklich dargestellt, dass es kein zwingendes Erfordernis ist, dass bereits eine Reisewarnung für das Zielgebiet ausgesprochen wurde. Es genügt, dass bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass eine Gesundheitsgefährdung gegeben ist.
Diese Gegebenheiten führe das Gericht als gerichtsbekannt an und zitierte einen entsprechenden Wikipeia-Eintrag.
Somit waren die Voraussetzungen der gesetzlichen Regelung erfüllt, dass der Reisende von der Reise zurücktreten konnte und der Veranstalter keinen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung hatte.
Welche Konsequenzen hat dieses Urteil?
Das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt dürfte eine große Signalwirkung haben und schafft einen großen Schritt Richtung Klarheit, wie ähnliche Fälle zu behandeln sind
ABER: Äußerst wichtig zu beachten ist, die Tatsache, dass das Gericht völlig klarstellt, dass sich eine schematische Behandlung der reiserechtlichen Fälle zur Corona-Pandemie strikt verbietet und dass es IMMER auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Man muss sich also zwingend davor hüten, davon auszugehen, dass jetzt jedem zurückgetretenen Reisenden, volle Erstattungsansprüche zustehen.
Was ist bei der Prüfung von Erstattungsansprüchen jetzt zu beachten?
Das Gericht hat mit seiner ausführlichen Entscheidung einige Eckdaten formuliert, die bei der Anspruchsprüfung zu beachten sind.
Zunächst kommt es darauf an, wann die Reise gebucht wurde, wann sie stattgefunden hätte und wann sie storniert wurde. Eine Vorratsstornierung, d.h. eine Stornierung zu einem sehr frühen Zeitpunkt kann dazu führen, dass keine Erstattungsansprüche bestehen. Dies gilt nach der Rechtsansicht des Amtsgerichts Frankfurt insbesondere, wenn die Stornierung weit vor dem Reisebeginn erklärt wurde, um sich dann darauf zu berufen, dass die Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Reisantritts noch immer gegeben sind. Wie lange dieser Zeitraum zwischen Erklärung der Stornierung und Reisebeginn sein darf, kann der Entscheidung nicht entnommen werden. Der entschiedene Zeitraum lag bei sechs Wochen und war ausreichend. Welche anderen Zeiträume möglich sind, wird die Zeit zeigen und wird auch von der Rechtsansicht des Richters und den weiteren Umständen des Einzelfalls abhängen.
Wichtig ist zu wissen, dass die Anforderungen an den Vortrag zur erheblichen Beeinträchtigung nach den Ausführungen des Gerichts nicht allzu streng sein dürfen und dass man sich gut den vorhandenen Informationen aus Medien und Internet bedienen kann, um den Nachweis erfolgreich zu führen. Es genügt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Gesundheitsgefährdung vorliegt, was eine niedrige Stufe der Darlegungs- und Beweislast ist.
Eigentlich klar, doch in Ansehung des Urteils erwähnungsbedürftig, ist der Umstand, dass ein Reisender als Kläger beweispflichtig für jede geleistete Zahlung ist, die zur Erstattung verlangt wird. . Bewahren Sie also Ihre Kontoauszüge, Zahlungsbestätigungen, Quittungen etc. gut auf und achten Sie darauf, dass diese dem Gericht entsprechend vorgelegt werden.
Mit diesen Informationen können Sie zunächst selbst prüfen, ob Chancen auf eine Erstattung bestehen. Lassen Sie sich auf keinen Fall von Ihrem Reisveranstalter abwiegeln sondern lassen Sie Ihre Ansprüche ggf. von einem sachkundigen Rechtsanwalt im Lichte dieser sehr neuen Entscheidung prüfen.